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Channel: Herzinfarkt – Grieshabers Wissenschaftsdialog
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Doktor Bonettis Stunde der Wahrheit

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Eine Charakteristik unserer schnelllebigen Zeit besteht darin, dass die Sensationen von gestern oder vorgestern heute längst vergessen sind. Problematisch daran ist, dass dies dazu führt, dass die abenteuerlichsten Fehlprognosen verbreitet werden können und vom großen Publikum geglaubt werden, ohne dass es überhaupt noch registriert wird, wenn sie nicht eintreffen. Denn um die Prognosen von vorgestern an der Realität zu messen, müsste man sich heute noch an sie erinnern.

Gut also, dass mein Gastautor Bernd Palmer gar nicht daran denkt, die schweizerische Version des Märchens vom Herzinfarktwunder auf sich beruhen zu lassen. Schon im September 2013 durfte ich seinen offenen Brief an die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie in meinem Blog veröffentlichen – ein Brief, auf den Herr Palmer selbstverständlich nie eine Antwort erhalten hat. Es ist mir eine Ehre, nunmehr auch seinen offenen Brief an einen der Autoren einer dieser „Herzinfarktwunder“-Studien, in diesem Fall den Schweizer Kanton Graubünden betreffend, zu veröffentlichen und ihm damit vielleicht etwas mehr öffentliche Aufmerksamkeit und am liebsten auch eine Antwort zu verschaffen. Für Dr. Bonetti wäre es nämlich eigentlich ein Gebot der wissenschaftlichen Integrität, sich dieser Kritik zu stellen.

Es sei meinem Schweizer Kollegen deshalb in Erinnerung gerufen: Das wissentliche Aufrechterhalten falscher Wissenschaftsaussagen verhindert bzw. verzögert die Suche nach den wirklichen Ursachen von Krankheiten und verursacht damit vermeidbares Leiden und vermeidbare Todesfälle. Es ist an der Zeit, dass sich die in die Machenschaften der WHO-Tobacco Free Initiative verstrickten Wissenschaftler endlich wieder ihrer Verantwortung gegenüber den Menschen besinnen, die ihnen ihr Leben und ihre Gesundheit anvertraut haben – und zwar gerade dann, wenn sie einmal ehrlich daran geglaubt haben sollten, das Richtige zu tun.

8. Juni 2016

Sehr geehrter Herr Doktor Bonetti,

Sie sind Mitautor der Studien mit dem Titel

Reduced incidence of acute myocardial  infarction in the first year after implementation of a public smoking ban in Graubuenden, Switzerland

und

Incidence of acute myocardial infarction after implementation of a public smoking ban in Graubünden, Switzerland: Two year follow-up

Die Studien sind weitgehend identisch und unterscheiden sich im Wesentlichen durch eine nachträgliche Ergänzung. Sie fanden in der Schweizer Presse ein breites Echo, umso mehr als damals die eidgenössischen Abstimmung über ein allgemeines Rauchverbot in «öffentlichen» Räumen bevorstand. Die Schlagzeile in der NZZ vom 8.1.2010 war eindeutig:

Studie aus Graubünden zeigt signifikanten Rückgang

Weniger Herzinfarkte seit dem Rauchverbot

In der Zusammenfassung der Studien ist zu lesen:

„In summary, the results of the present analysis further support the assumption that the implementation of a public smoking ban itself was the leading cause for the decrease in the number of patients with AMI observed after adoption of smoke-free legislation in Graubünden.“

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Die Abbildung oben (Figure 1 der Studie) stellt das grafisch dar.

Abgesehen davon, dass aus nur drei Messpunkten einer Serie keine statistische Signifikanz abgeleitet werden kann, wird in der Diskussion der Studie auf mehrere Mängel hingewiesen, die die Eindeutigkeit der Schlussfolgerung und insbesondere den ursächlichen Zusammenhang in Zweifel ziehen.

Our analysis has some limitations. First of all, it must be emphasized that our observational results do not allow the inference of a causal relationship between the implementation of a smoking ban and the reduction of AMI incidence observed thereafter.

Die Schlussfolgerung müsste also lauten: Ein direkter ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Rauchverbot und der Anzahl der Krankheitsfälle ist nicht erkennbar.

The mechanisms by which secondhand smoke may increase the risk of acute coronary syndromes are thought to include platelet activation …

Das Kantonsspital Graubünden veröffentlicht detaillierte jährliche Statistiken zu seinen Aktivitäten. Diese Zahlen zeigen ein völlig anderes Bild, der angebliche Rückgang gleicht eher einem monotonen Anstieg, ohne Knick im Zusammenhang mit dem Rauchverbot. Weder kurz- noch längerfristig ist eine Reduktion von 20 Prozent oder mehr zu erkennen. Auch ein Vergleich mit anderen Studien ändert nichts an der Tatsache, dass in Graubünden kein Effekt nachweisbar ist.

Moreover, the authors noted that the beneficial effect of smoking bans on AMI incidence grows with time, resulting in an additional decrease in the AMI incidence of 26% with each year of post-ban observation. Consistent with these findings, another recent metaanalysis on the same topic concluded that implementation of smoke-free legislation may lead to a ≈15% drop in AMI incidence during the first year and a continuing exponential decline, reaching ≈36% after three years.

Diese Aussage findet in den Statistiken des Kantonsspitals keine Bestätigung.

Die Zahlen aus anderen Kantonen und gesamtschweizerisch lassen ebenso wenig den Schluss zu, dass das Rauchverbot zum versprochenen Ergebnis geführt hat, ganz im Gegenteil, wenn man denn aus einer zeitlichen Korrelation auf die Ursache schliessen will. Die Sterbezahlen haben zugenommen!

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Die hoffnungsvolle Aussage einer tatsächlichen Reduktion der Herzinfarkte aufgrund eines Rauchverbots in öffentlichen Räumen lässt sich nicht nachvollziehen, da Ihre Studie nach dem ersten Folgejahr abbricht; ein einzelner Messpunkt reicht nicht aus, um eine Tendez nachzuweisen. Die Jahreszahlen des Kantonsspitals Graubünden sprechen eine andere, klarere Sprache. Die Zahlen aus Genf und der Gesamtschweiz ebenfalls.

Sehr geehrter Herr Doktor Bonetti, ich lasse mich gerne korrigieren, sollten Sie eine andere Erklärung für die Diskrepanzen haben. In Erwartung Ihrer Antwort verbleibe ich mit freundlichen Grüssen.

Bernd Palmer

F-01630 Saint Jean de Gonvil

Bernd Palmers Bemühungen waren mir ein Anstoß, vier Jahre nach meinen drei Blogbeiträgen über das angebliche deutsche Herzinfarktwunder (Beitrag 1, Beitrag 2, Beitrag 3) auch einen kurzen Blick auf die Entwicklung hierzulande zu werden.

Ein Suchspiel: Finden Sie in der Entwicklung der Krankenhauseinweisungen wegen akutem Herzinfarkt in Bayern (partielles Rauchverbot ab Januar 2008, ausnahmsloses Rauchverbot ab September 2010) sowie in Baden-Württemberg (partielles Rauchverbot ab August 2007) auch nur einen Hauch von Wunder in den gerahmten Rauchverbots-Jahren? (Oranger Rahmen = Rauchverbot mit Ausnahmen; roter Rahmen: ohne Ausnahmen) 

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